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Fachbegriffe aus der Immobilienbewertung erklärt: Verkehrswert

Gutachtergruppe Nord GmbH & Co. KG - Zert. Dipl.-Sachverständige (DIN EN ISO / IEC 17024) und/oder öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken, für Mieten und Pachten.

Immobiliensachverständige für Immobilienbewertung, Immobiliengutachten oder Verkehrswertermittlungen in den Regionen Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern.

Verkehrswert

Der Verkehrswert (Marktwert) wird nach § 194 des Baugesetzbuchs – BauGB [1] – durch den Preis bestimmt, der in dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des sonstigen Gegenstands der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre.

Mit dem Europarechtsanpassungsgesetz vom 24.6.2004 (BGBl. I 2004, 1359) hat der Gesetzgeber klargestellt, dass der „Verkehrswert” materiell identisch mit dem „Marktwert” ist, wie dies schon mit den Wertermittlungsrichtlinien 2002 (WertR 02) herausgestellt wurde. Dieser Verkehrs- bzw. Marktwert entspricht materiell § 16 Abs. 2 Satz 4 PfandBG, der Direktive des Europäischen Rates von 1991 (Art. 49 Abs. 2 – 91/647/EEC) [2] und international gebräuchlichen Marktwertdefinitionen [3]. Die deutsche Definition des Verkehrswerts (Marktwert) hat sich als modern und international vorbildlich erwiesen.

Auch das Bilanzrecht orientiert sich in zunehmendem Maße – alternativ zum Buchwert und den Anschaffungs- und Herstellungskosten – am Marktwert. Soweit dort (nur) vom Marktwert die Rede ist, handelt es sich um den Verkehrswert. In den aktuellen Verordnungen der Europäischen Kommission zur „Übernahme bestimmter Rechnungslegungsstandards, die auf den „International Financial Reporting Standards” (IFRS) und den „International Accounting Standards” (IAS) basieren, ist allerdings vom „Marktwert” (market value) nur noch periphär die Rede. Die Bilanzierung von Sachanlagen wird dort zum sog. „beizulegenden Zeitwert” (fair value) zugelassen. Der „beizulegende Zeitwert” definiert sich nach IAS 16 § 6, IAS 32 § 11 und IAS 38 § 8, IAS 40 § 5 als „der Betrag, zu dem ein Vermögenswert zwischen sachverständigen, vertragswilligen und voneinander unabhängigen Geschäftspartnern getauscht werden könnte” [4].

IAS 16 §31 bestimmt für die Bilanzierung von Sachanlagen, dass der beizulegende Zeitwert von Grundstücken und Gebäuden in der Regel nach den auf dem Markt basierenden Daten ermittelt wird, wobei man sich normalerweise der Berechnungen hauptamtlicher Gutachter bedient. Der beizulegende Zeitwert für technische Anlagen und Betriebs- und Geschäftsausstattungen ist in der Regel der durch Schätzungen ermittelte Marktwert. Gibt es auf Grund der speziellen Art der Sachanlage und ihrer seltenen Veräußerung, ausgenommen als Teil eines fortbestehenden Geschäftsbereiches, keine marktbasierten Nachweise für den beizulegenden Zeitwert, muss ein Unternehmen den beizulegenden Zeitwert „eventuell” unter Anwendung eines Ertragswertverfahrens oder der abgeschriebenen Wiederbeschaffungswertmethode schätzen (IAS 16 § 33).

Der beizulegende Zeitwert von als Finanzinvestition gehaltenen Immobilien entspricht nach IAS 40 § 36 wiederum dem Preis, zu dem die Immobilien zwischen sachverständigen, vertragswilligen und voneinander unabhängigen Geschäftspartnern getauscht werden könnten und „spiegelt (nach IAS 40 § 38) die Marktbedingungen am Bilanzstichtag, nicht dagegen zukünftige Ausgaben zur Verbesserung oder Wertsteigerung noch den damit einhergehenden künftigen Nutzen wider” (IAS 40 § 51). Eine Transaktionen zwischen unabhängigen Geschäftspartnern ist nach IAS 40 § 40 ein Geschäftsabschluss zwischen Parteien, die keine besondere oder spezielle Beziehung zueinander haben, die marktuntypische Transaktionspreise begründet. Der beizulegende Zeitwert der als Finanzinvestition gehaltenen Immobilien berücksichtigt neben anderen Dingen die Mieterträge aus den gegenwärtigen Mietverhältnissen sowie angemessene und vertretbare Annahmen, die dem entsprechen, was sachverständige und vertragswillige Geschäftspartner für Mieterträge aus zukünftigen Mietverhältnissen nach den aktuellen Markt­bedingungen annehmen würden (IAS 40 § 40). Er wird ohne Abzug der dem Unternehmen ­gegebenenfalls beim Verkauf oder bei einem anders gearteten Abgang entstehenden Transaktionskosten bestimmt (IAS 40 § 37).

Der beizulegende Zeitwert ist vornehmlich nach dem Vergleichswertverfahren zu ermitteln. In IAS 40 § 45 heißt es hierzu: „Den bestmöglichen substanziellen Hinweis für den beizulegenden Zeitwert erhält man durch auf einem aktiven Markt notierte aktuelle Preise ähnlicher Immobilien, die sich am gleichen Ort und im gleichen Zustand befinden und Gegenstand vergleichbarer Mietverhältnisse und anderer, mit den Immobilien zusammenhängender Verträge sind. Ein Unternehmen hat dafür Sorge zu tragen, jegliche Unterschiede hinsichtlich Art, Lage oder Zustand der Immobilien in den Vertragsbedingungen der Mietverhältnisse und in anderen, mit den Immobilien zusammenhängenden Verträgen festzustellen.”

Das BauGB enthält in seinem Ersten Teil des Dritten Kapitels neben der Definition des Verkehrswerts (Marktwert) im Übrigen Regelungen zur Einrichtung der Gutachterausschüsse für Grundstückswerte und ihre Aufgaben [5]. Die Verkehrswertdefinition des Städtebaurechts, in dem der Verkehrswert u.a. Grundlage für die Bemessung von Enteignungsentschädigungen ist, nimmt im Wirtschafts- und Rechtsleben eine allgemein gültige Bedeutung ein. Der Verkehrswert (Marktwert) ist mit dem „wahren”, „inneren”, „wirklichen” oder schlicht mit dem „Wert” des Grundstücks gleichzusetzen. Die Verkehrswertdefinition entspricht trotz abweichenden Wortlauts der Definition des „gemeinen Werts” (§ 9 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes) des Steuerrechts und dem „vollen Wert” des Haushaltsrechts.

Der Verkehrswert ist eine vom Geschehen auf dem Grundstücksmarkt bestimmte und eine vom jeweiligen Zeitpunkt, auf den bezogen er ermittelt wird (Wertermittlungsstichtag), abhängige Größe. Bei seiner Ermittlung sind eine Reihe normativer Vorgaben zu berücksichtigen.

a) Grundsätzlich bestimmt sich der Verkehrswert eines Grundstücks nach seiner künftigen Nutzbarkeit, sofern nicht rechtliche „Gegebenheiten” i.S.d. Verkehrswertdefinition dies ausschließen. Auf die bisherige Nutzung kommt es nur insoweit an, wie dadurch die künftige Nutzung beeinflusst wird („Für das Gewesene gibt der Kaufmann nichts.”). Solche rechtlichen Gegebenheiten sind insbesondere die nach dem Städtebaurecht ausgeschlossenen Werterhöhungen, z.B. der Ausschluss sanierungs- oder entwicklungsbedingter Werterhöhungen nach § 153 Abs. 1 BauGB bzw. der Ausschluss von Werterhöhungen nach § 95 Abs. 2 BauGB bei enteignungsbefangenen Grundstücken

b) Maßgebend für die Höhe des Verkehrswerts (Marktwerts) ist – wie im Übrigen auch für den „beizulegenden Zeitwert” – das Marktgeschehen, das dem gewöhnlichen Geschäftsverkehr zuzurechnen ist unter Berücksichtigung der sichtbaren und unsichtbaren Eigenschaften des Grundstücks, insbesondere der Lage der Grundstücke, der Beschaffenheit des Bodens und der vorhandenen baulichen Anlagen und Einrichtungen, der Ertragsverhältnisse sowie der bauplanungsrechtlichen Nutzbarkeit (ggf. unter Ausschluss von Werterhöhungen), der Rechte und Belastungen der Abteilung 2 des Grundbuchs, der Bau- und Altlasten. Von ungewöhnlichen oder persönlichen Verhältnissen beeinflusste Vergleichspreise, Ertragsverhältnisse und Herstellungskosten müssen dabei grundsätzlich ebenso außer Betracht bleiben wie die in Abteilung 3 des Grundbuchs eingetragenen Grundpfandrechte. Als gewöhnlicher Geschäftsverkehr wird – gleichbedeutend mit dem „gesunden” oder „allgemeinen” Grundstücksmarkt – der Handel auf einem freien Markt verstanden, wobei weder Käufer noch Verkäufer unter Zeitdruck, Zwang oder Not stehen und allein objektive Maßstäbe preisbestimmend sind.

Der Verkehrswert (Marktwert) stellt sich damit als ein verobjektivierter und sich aus Angebot und Nachfrage auf dem Grundstücksmarkt ergebender Tauschwert dar, der auch als der „wahrscheinlichste” und „von jedermann” zu erzielende Wert definiert wird, wobei sich dies allerdings nur auf den jeweiligen Grundstücksteilmarkt beziehen kann. Nicht jeder ist nämlich daran interessiert, jedes Grundstück zu erwerben. Deshalb bestimmt sich der Verkehrswert (Marktwert) nach den Usancen des Teilmarktes, wobei auch ein eingeschränkter Käuferkreis den Markt bilden kann (Teilmarkttheorie) [6].

Der Verkehrswert (Marktwert) ist trotz einer Vielzahl verfahrensrechtlicher Wertermittlungsvorschriften und einer entwickelten Wertermittlungslehre keine mathematisch exakt ermittelbare Größe. Dies kann er schon deshalb nicht sein, weil für den gewöhnlichen Geschäftsverkehr bezeichnend ist, dass die auf dem Grundstücksmarkt vereinbarten Kaufpreise für Grundstücke gleicher Qualität selbst unter Ausschluss von sog. Ausreißern, die nicht dem gewöhnlichen Geschäftsverkehr zurechenbar sind, in nicht unerheblichem Umfang streuen. Die Verkehrswertermittlung kommt deshalb nicht ohne Elemente der Schätzung aus, wobei mit einem Genauigkeitsgrad von bis zu +/- 20 bis +/- 30 % des ermittelten Verkehrswerts und mitunter mehr gerechnet werden muss[7].

Das „Werten” von Immobilien selbst ist ein teleologischer Vorgang; die in der Wertermittlungspraxis gebräuchlichen Wertermittlungsverfahren sind deshalb auf die Eigenart des Grundstücksteilmarktes ausgerichtet, dem das zu wertende Grundstück jeweils zuzurechnen ist. Die Ermittlung des Verkehrswerts von Grundstücken ist infolgedessen auch hinsichtlich ihrer Methodik von der Beleihungswertermittlung und der Einheits- bzw. Grundbesitzbewertung zu unterscheiden, wenngleich enge Verwandtschaften zwischen den jeweiligen Verfahren bestehen.

[1] Baugesetzbuch (BauGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.8.1997, zuletzt geändert Art. 21 des Gesetzes vom 21.6.2005 (BGBl. I 2005, 1818).

[2] Kleiber/Simon/Weyers, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 4. Aufl. 2004, § 194 BauGB Rn. 207.

[3] Das Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS) hat dagegen in seinem „Red Book” seine Definition des „Open Market Value”, als den höchsterzielbaren Preis aufgegeben; vgl. Kleiber/Simon/Weyers, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 4. Aufl. 2004, § 194 BauGB Rn. 102 ff.

[4] Verordnung (EG) Nr. 211/2005 der Kommission vom 4.2.2005 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1725/2003 betr. die Übernahme bestimmter internationaler Rechnungslegungsstandards in Übereinstimmung mit der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf den „International Financial Reporting Standard (IFRS) Nr. 1 und 2 und die „International Accounting Standards” (IAS Nr. 12, 16, 19, 32, 33 38 und 39 (ABl. EU L 41/1 vom 11.2.2005). Verordnung (EG) Nr. 2238/2004 der Kommission vom 29.12.2004 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1725/2003 betr. die Übernahme bestimmter internationaler Rechnungslegungsstandards in Übereinstimmung mit der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates betr. IFRS 1 und IAS Nrn. 1 bis 10, 12 bis 17, 19 bis 24, 27 bis 38, 40 und 41 und SIC Nrn. 1 bis 7, 11 bis 14, 18 bis 27 und 30 bis 33 (ABl. EU Nr. L 394/1 vom 31.12.2004). Verordnung (EG) Nr. 2236/2004 der Kommission vom 29.12.2004 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1725/2003 betr. die Übernahme bestimmter internationaler Rechnungslegungsstandards in Übereinstimmung mit der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates betr. „International Financial Reporting Standard” (IFRS) Nr. 1, 3 bis 5, „International Accounting Standards” (IAS) Nr. 1, 10, 12, 14, 16 bis 19, 22, 27, 28, 31 bis 41 und die Interpretation des „Standard Interpretation Committee” (SIC) Nr. 9, 22, 28 und 32 (ABl. EU Nr. L 392/1 vom 31.12.2004).

[5] Umfassend zur Verkehrswertermittlung von Grundstücken Kleiber/Simon/Weyers, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 4. Aufl., Bundesanzeiger Verlag Köln 2002; Entscheidungssammlung zum Grundstücksmarkt und Grundstückswert, – EzGuG – Luchterhand Verlag Neuwied, Losebl.

[6] Abzulehnen ist die Entscheidung des OLG Brandenburg, Urt. vom 29.12.2001 – 2 U 126/97 –, Grundstücksmarkt und Grundstückswert 2002, 117. Das Gericht hat in dem zu entscheidenden Fall einen Teilmarkt u.a. damit verneint, dass die Gutachterausschüsse dafür keine Bodenrichtwerte ausgewiesen hätten. (sic !).

[7] Hierzu Kleiber/Simon/Weyers, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 4. Aufl. Köln 2002.